Work in Progress

Ende Oktober hatten wir eine Residenz in der Extrême Jonglerie in Marseille.

Wirklich eine super Atmosphäre und ein wahnsinnig nettes Team.

Wir haben einfach mal alles zusammen geschmissen, viel improvisiert und am Ende der Woche ein kleines Work in Progress Showing gemacht. Es hat Spaß gemacht und wir hatten viele interessante Rückmeldungen. Vielen Dank an das Team und an Chris Huette!

Abschied von den Steinen

Ich war also wieder im Studio und experimentierte. Irgendwann habe ich gemerkt, dass sich die Steine verselbstständigt hatten. Dass sich um sie eine eigene Thematik gebildet hatte, die ich in einem anderen Rahmen untersuchen wollte und dass es in meinem ursprünglichen Anliegen eher um meinen menschlichen Körper und die Körper des Publikums ging. Um Solidarität und Interaktion, Zivilisation und Natur. Ich entschied also die Steinrecherche aus diesem Projekt herauszunehmen. (Ich habe zu dieser Recherche aber einen Antrag für die Prozessförderung des Neustart Kultur Programms #takeheart gestellt und diesen bewilligt bekommen(!) Das Projekt ‘Elective Affinities / Wahlverwandtschaften’ wird von Anfang August bis Ende November umgesetzt werden.

Was blieb also übrig? Mein Seil an einem Flaschenzug, die Interaktion mit dem Publikum, eine Mango, ein Schlappseil, jede Menge Textfragmente und ein motivierter Musiker. Das sollte reichen.. 

Lektüre

Und ich habe natürlich auch Bücher zum Thema gelesen.

Hier meine Literaturliste:

Pablo Servigne: “L’autre loi de la jungle”

Mathieu Ricard: “Allumfassende Nächstenliebe. Altruismus – die Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit”

Augusto Boal: “Theater der Unterdrückten”

Recherche

Um das Ganze nicht so abstrakt erscheinen zu lassen: Ich habe auch tatsächlich in den Seilen gehangen. 😉

Ich experimentiere schon seit längerem damit, mein Vertikalseil an einem Flaschenzug zu installieren. So kann die Höhe variiert werden und ich kann auf der anderen Seite ein Gewicht anbringen, was mein Seil in der Luft hält, das Seil von jemandem halten lassen, oder es selbst halten.. Ich mag diesen einfachen Mechanismus, weil er sich einem sofort erschließt und er trotzdem eine immanente Spannung erzeugt. Das ‘In der Luft sein’ ist unter der Bedingung möglich, dass das andere Seil gehalten wird. Es wird dadurch ein fragilerer Zustand, mehr ein fortlaufender Prozess, weniger eine vollendete Tatsache. 

Hier habe ich also die Granitsteine in ein Netz gelegt und dieses als Gewicht an das andere Ende des Seils gehängt. Je nach dem wie viele Steine ich ins Netz tat, ergaben sich neue Möglichkeiten. Bei 2 Steinen im Netzt konnte ich mein Seil halten und weit springen. Das Gewicht war grade genug, um mich für einen verzögerten Moment in der Luft zu halten. Bei vier Steinen musste ich ich sehr strampeln und schwingen, um sie in die Luft zu kriegen. Ich konnte also an meinem Seil Figuren machen und bei 3 Steinen hielten wir uns die Wage und meine Bewegungen ließen die Steine langsam nach oben oder unten gleiten. 

Ich wollte die Steine meinem Körper gegenüber stellen. Wenn sie also hingen musste auch ich aufgehängt werden. Ich versuchte es also mit hairhanging. Das ist eine Zirkusdisziplin, bei der man sich an den Haaren aufhängt. Klingt schmerzhaft – ist es leider auch. Ich muss sagen, ich habe mich noch nicht so richtig daran gewöhnt, aber ich mag die Bilder die es kreiert: der menschliche Körper ohne Kontakt mit irgendeiner Oberfläche, einfach frei im Raum. Das erlaubt eine abstrakte Betrachtung des Körpers außerhalb seiner Funktionalität.

Text Collage

Ich wollte, dass der Text für die Performance von verschiedenen Autoren kommt. Ich hatte hierfür eine Reihe von Fragen um das Konzept-Thema formuliert und Freunde und Bekannte um persönliche Anekdoten gebeten. (Speziell zum Thema Vereinzelung und Momenten, in denen sich der oder diejenige als Teil der Natur erfahren hat) Die Idee war, daraus eine Art Text-Collage zu erstellen, um meine Bühnenfigur zur hybriden Erfahrungsträgerin werden zu lassen. Unsere individualistische Gesellschaft neigt dazu, eigentlich systematisch soziologische Probleme ins Private abzuschieben. Jeder ist seines Glückes Schmied und auch für sein Unglück gänzlich selbst verantwortlich. Folglich sind alle Erfahrungen auf uns selbst zurückzuführen und so können bei nicht-wissenschaftlichen Thematiken nur von der persönlichen Erfahrungsebene aus legitime Aussagen getroffen werden. Ich möchte nicht nur von mir sprechen, sondern eine weniger individualistische Perspektive einnehmen, aber ich möchte auch nicht verallgemeinern oder vereinfachen. Daher habe ich mich dafür entschieden, persönliche Erfahrungen vieler Menschen einzubeziehen. Hier die Fragen: 

WOLFSKIND: QUESTIONS 

Thank you for helping me with my project! Please feel free to answer as long or short as you want. Especially anecdotes/ concrete situations are interesting to me but also everything else you want to share. Also feel free to not answer at all to those questions that seem too personal or irrelevant to you. Just pick those which resonate with you. 

  • Which color does the future have? 
  • And the past? 
  • What do you only do when you are alone? 
  • Can you describe the feeling of loneliness?
  • Would you mind sharing a dream you remember? 
  • Who do you talk to when you feel scared? 
  • Imagine yourself alone in a room/square/place. What do you see around you? 
  • What do you like the least about yourself?/Can you share a situation in which you didn’t like yourself? 
  • Do you sometimes feel that you are being a danger to others? Can you describe a situation and how that made you feel? 
  • In which moments are you the happiest? 
  • Can you tell about a situation in which you did sth for someone else? 
  • If you were an animal which one would it be? And what would you do being that animal? 
  • A moment in which you felt like you were part of nature 
  • What comes to mind when you think about wolves? 
  • Imagine living with a stone in a confined place. What kind of stone is it? What kind of relation you have to the stone?

    Thank you!! ❤ Emma 

Etwas über Wölfe

Wölfe sind entgegen ihrem negativen Image tatsächlich sehr soziale Tiere. Der Mythos vom ‘lonely wolf’ ist in der Tat ein Mythos. Wölfe leben in Rudeln, wo sie sich gegenseitig vor Angreifern beschützen und ihre Beute teilen. 

Auch die Annahme, Wölfe töteten ‘aus Spaß’ oder reiner Blutrünstigkeit ist widerlegt. Zum sogenannten ‘Surplus killing’ kommt es nur bei zur Landwirtschaft gehaltenen Herden, weil den Tieren die natürlichen Schutzmechanismen und oft die Fluchtmöglichkeiten fehlen. 

Wölfe sind Spitzenprädatoren und somit wichtig für die Aufrechterhaltung des sensiblen ökologischen Gleichgewichts innerhalb der Nahrungskette. Sie regulieren die Populationsgröße ihrer Beutetiere, was sich günstig auf die Vegetation auswirkt und damit wiederum die Artenvielfalt in der Region erhält.

Val Plumwood beschreibt in ihrem Essay ‘Being prey’, wie sie den Angriff eines Krokodils überlebte und wie die Verdrängung von Prädatoren durch den Menschen ein Zeichen unseres verfehlten Verhältnisses zur Natur ist, aus der wir uns als beherrschende Instanz herausgezogen haben. 

Hier ein Ausschnitt aus ihrem Essay: 

(Thank you Simon Walker for sharing it with me!)

“Large predators like lions and crocodiles present an important test for us. An ecosystem’s ability to support large predators is a mark of its ecological integrity.

Crocodiles and other creatures that can take human life also present a test of our acceptance of our ecological identity. When they’re allowed to live freely, these creatures indicate our preparedness to coexist with the otherness of the earth, and to recognise ourselves in mutual, ecological terms, as part of the food chain, eaten as well as eater.

(…) In my work as a philosopher, I see more and more reason to stress our failure to perceive this vulnerability, to realise how misguided we are to view ourselves as masters of a tamed and malleable nature.”

Die Spur der Steine

Der Wolf- In Sagen und Märchen ist er einer der Archetypen des Bösen. Man denke nur an das allseits bekannte Märchen Rotkäppchen und der “böse” Wolf. Oder Peter und der Wolf. Der Wolf hat hier sein eigenes bedrohliches musikalisches Thema. Oder auch ‘Der Wolf und die sieben Geißlein’. In den beiden Märchen wird dem Wolf am Ende der Bauch aufgeschnitten und statt seiner Beute werden ihm Steine in den Bauch gelegt. Siehe hier: ’Rotkäppchen aber holte geschwind große Steine, damit füllten sie dem Wolf den Leib und wie er aufwachte, wollte er fort springen, aber die Steine waren so schwer, dass er gleich niedersank und sich totfiel.’ Oder bei den sieben Geißlein: ‘Jetzt geht und sucht Wackersteine, damit wollen wir dem gottlosen Tier den Bauch füllen, solange es noch im Schlafe liegt. Als der Wolf endlich ausgeschlafen hatte, machte er sich auf die Beine und weil ihm die Steine im Magen so großen Durst erregten, so wollte er zu einem Brunnen gehen und trinken. Und als er an den Brunnen kam und sich über das Wasser bückte und trinken wollte, da zogen ihn die schweren Steine hinein und er musste jämmerlich ersaufen. ‘

Diese verhängnisvollen Wackersteine haben meine Aufmerksamkeit gefesselt. Und so kam es, dass ich auf eine Kleinanzeige geantwortet habe und die Verfasserin um 8 ca 10 Kg schwere Granitsteine erleichtert habe, die ich in einem Vorgarten in Lichterfelde einsammeln konnte. 

Die wurden dann ins Studio geschleppt und los ging es! 

Bouncing ideas

Während meiner Recherche im Rahmen der #takecare Förderung im Juni/Juli 2021 habe ich vor allem habe ich gemerkt, dass es verdammt schwer ist, alleine zu kreieren. Zum mindest für mich. Ich brauche jemanden, der meine Ideen zurück bounced, sonst bounce ich sie irgendwo hin und lasse sie fallen oder zerkrümle sie bis nichts mehr übrig ist. Ana Jordao war nur ein paar Tage als Outside eye mit mir im Block e. V. Studio und trotzdem hat sie mir enorm geholfen. Sie hat mir Vertrauen darein gegeben, dass das was ich da mache von Belang ist. Und sie hat mich Neugierig gemacht, weiter zu forschen. Und dann habe ich Freunde mit ins Studio genommen, einfach damit da jemand ist. Danke Theresa Münz und Zinnia Nomura für die Unterstützung! Danke auch ans Block Studio und an Lea Prinz für die Organisation.